Wir freuen uns ja immer über Gastbeiträge für unseren Blog. Diesmal geht es um Komplexität, eines unserer Kernthemen. Und dass nicht nur uns die Klausur von Malte Werner sehr gut gefallen hat, zeigt das Urteil eines ausgewiesenen Experten:
Aufgabenstellung:
Begründen Sie die Bedeutung der Entdeckung von Komplexität für die Managementtheorie und formulieren Sie drei Grundregeln des Komplexitätsmanagements.
1. Einleitung
Im Folgenden möchte ich nach einer kurzen Einleitung in das Thema „Komplexität und Management“ in drei Abschnitten konkret darlegen, was die „Entdeckung“ der Komplexität für die Managementtheorie bedeutet und aus jedem der drei Abschnitte jeweils eine Grundregel zum Komplexitätsmanagement ableiten.
Spannend bei diesem Vorhaben ist vor allem die Paradoxie, die dem Wort Komplexitätsmanagement innewohnt. Die Etymologie des Begriffs Management ist nicht abschließend geklärt, aber eine mögliche Herkunft könnte „Maneggiare“ sein, was „ein Pferd an einer Leine führen“ bedeutet. Übertragen auf die heutige Verwendung des Begriffs in Organisationen geht es im weiteren Sinne um Führung, Leitung, Koordination, Kontrolle oder das Organisieren und Überschauen von Prozessen. Auf der anderen Seite dieser Paradoxie steht der Begriff der Komplexität, der sich besonders dadurch kennzeichnet, dass das komplexe System, die komplexe Situation oder der komplexe Prozess eben nicht mit einem linearen Rationalitätskalkül durchdrungen werden kann (vgl. Boone 2007, S.5). Diese beiden Begriffe, die sich auf den ersten Blick auszuschließen scheinen, sollen im Laufe dieser Arbeit zusammengedacht werden. Nicht, um die Paradoxie zu lösen, aber um ihr Raum zu geben, sich zu entfalten und sie somit nutzbar zu machen.
Bevor ich auf die Entdeckung der Komplexität und den Einfluss dieser Entdeckung auf die Managementtheorie eingehe, möchte ich ein kurzes Bild der Managementtheorie zeichnen, wie sie vor der Entdeckung der Komplexität gelehrt wurde und auch in großen Teilen heute noch gelehrt wird. In der gängigen Managementtheorie, die an den Universitäten gelehrt wird, war und ist das Paradigma der Rationalität der handelnden Individuen eine der Grundlagen, auf der die Theorie basiert (vgl. March 2006, S. 202f). Rationale Produktionsplanung gehört genauso dazu wie nutzenmaximierendes Verhalten von Kunden und Mitarbeitern. So heißt es beispielsweise im weit verbreiteten Lehrbuch der Mikroökonomik von Pindyck und Rubinfeld: „Wir wissen, dass Konsumenten ihre Kaufentscheidungen nicht immer rational treffen“ (Pindyck 2009, S. 106). Aber kurz danach wird diese Einschränkung wieder relativiert. „Es soll aber auch betont werden, dass dieses Modell einen Großteil dessen, was wir […] beobachten, sehr erfolgreich erklärt“, und weiter: „An dieser Stelle soll einfach klargestellt werden, dass unser grundlegendes Modell des Verbraucherverhaltens notwendigerweise einige vereinfachende Annahmen trifft“ (ebd. S. 106). Zu diesen vereinfachenden Annahmen gehört jene Rationalität, die weiterhin in der modernen Betriebswirtschaftslehre vorherrschend ist, die von Erich Gutenberg in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts begründet wurde (vgl. Gutenberg 1929).