Heldengeschichten gibt es viele. Nicht nur in Film und Buch, auch von Helden des Alltags wird erzählt. Und das ist auch gut so. Helden geben uns Orientierung, sie zeigen uns, was gut und erstrebenswert ist, sie sind uns ein Vorbild.
Zum Problem werden sie allerdings in einer Welt (die keine Helden braucht: nein, das wäre eine andere Geschichte…), die vom Leistungsprinzip geprägt ist, dort, wo nur der Erfolg zählt. Allzu leicht wird dort vergessen, mit welchen Ängsten und Selbstzweifeln Helden zu kämpfen haben. Sichtbar wird am Ende nur das Bild des strahlenden Siegers. Alle Mühen, die Selbstüberwindung, die Orientierungslosigkeit gehen unter in der simplen Botschaft: „Du bist der Beste!“
Und damit beginnt das Klischee: Heldentum wird ersetzt durch das Bild des Siegers. Ob es der Filmstar vor seiner Villa, der CEO vor der Hauptversammlung oder Sportler auf dem Treppchen ist, die Botschaft lautet immer gleich: der Erfolg ist entscheidend.
Wir sind tagtäglich von solchen Bildern und Geschichten umgeben, die in uns die Sehnsucht wecken: „Das will ich auch (sein)!“ Aber wie machen? Dafür gibt es ja reichhaltige Ratgeberliteratur, es gibt Erfolgscoaches, die vor allem eins vermitteln: „Mache es so wie ich sage, und du wirst glücklich!“ Allerdings beruht dieses Versprechen auf einer Verwechslung: Erfolg bedeutet nicht notwendigerweise auch Glück. Die meisten Erfolgsversprechen funktionieren wie Hochglanzprospekte für wunderschöne Immobilien: Sieht gut aus, aber drin zu wohnen braucht noch mehr, z. B. die notwendigen Mittel. So wie eine Penthousewohnung viel Geld benötigt, braucht es für den Erfolg auch eine seelische Grundausrüstung, um den Erfolg, der mit Heldentum erworben wurde, auch zu leben. Viele Künstlerbiographien zeigen das auf tragische Weise.
Viele Menschen sind von dem gefühlten Anspruch, den Hochglanzerfolg erreichen zu müssen, schlichtweg überfordert. Mit oft unglaublicher Anstrengung versuchen sie alles, um dem Klischee zu entsprechen. Einige wenige schaffen es tatsächlich und stellen dann nicht selten fest, dass sich der Erfolg ganz anders anfühlt als er aussieht: nämlich gar nicht so schön und leicht wie im Prospekt, sondern geprägt von Pflichten und Mühen.
Die meisten aber scheitern. Scham und Schuldgefühle sind dann die inneren Begleiter, Häme und Schadenfreude die äußeren. Und der beliebte Satz von Erfolgscoaches: „Du musst nur einmal mehr aufstehen als du hingefallen bist“ führt meist in den Teufelskreis von Versuchen und Versagen, begleitet von der besserwisserischen Ermunterung: „Siehst du, ich hab’s ja gewusst!“
Wir brauchen ein anderes Bild des Scheiterns, eines in dem Scheitern nicht als Niederlage begriffen, in dem Scheitern nicht persönlicher Makel definiert wird. Es schleicht sich ja ganz einfach ein: Jemand macht einen Fehler und schon hat er einen Fehler (nicht weit- oder umsichtig genug zu sein, zu langsam zu sein…). Was würde sich im Umgang mit Scheitern nicht alles ändern, wenn man das Wort „Fehler“ durch das Wort „Irrtum“ ersetzen würde?
WTM möchte auch Geschichten vom Anti-Helden erzählen, Geschichten vom Scheitern. Warum? Nicht, um mit erhobenem Zeigefinger Lehren daraus zu ziehen. Nicht, um die Perspektive des Hinterher-Besser-Wissens einzunehmen. Der wichtigste Grund ist, interessante und bewegende, auch amüsante Geschichten zu erzählen. Ob man aus ihnen eine Lehre ziehen kann? Das muss jeder Hörer selbst entscheiden.
Wenn wir damit unserem Ziel, Scheitern als anerkannte Daseinsform einen Schritt näher kommen, freuen wir uns. Wenn nicht – ja, dann sind wir gescheitert. Und das ist dann auch in Ordnung. Wir haben es versucht, und es hat nicht geklappt. Wir haben es dann zu akzeptieren und dann entweder auf diesen Erfolg zu verzichten oder neue Energie zu investieren und es auf andere Weise zu versuchen.
Dies ist die eigentliche Schwierigkeit beim Scheitern: Welche der beiden Möglichkeiten wähle ich? Den Regen Anpassung an ein unabänderliches Schicksal oder die Traufe Verausgabung im Kampf dagegen. Dabei werden diese Extreme ja erst erzeugt durch das Fehlen des Wichtigsten beim Scheitern: Es zu akzeptieren. Damit ist nicht gemeint, sich den Umständen klaglos zu ergeben, sondern das Scheitern anzunehmen, es zu verstehen als einen Teil der eigenen Geschichte, als prägendes Element des eigenen Selbst.
Und hierin liegt die eigentliche Würde des Scheiterns: es anzunehmen, nicht mit sich, dem Schicksal, den Göttern hadern zu müssen. Albert Camus hat es ganz wunderbar auf den Punkt gebracht: “Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen.“