Intuition
Intuition verstehen die meisten als „Bauchgefühl“. Wahrscheinlich beruht darauf ihr schlechter Ruf in Unternehmen. Dabei ist Intuition sehr viel mehr als irgendein Gefühl und schon gar keine Stimmung. In ihr verbinden sich vielmehr Kreativität, Wissen, Erfahrung, kognitive Problemlösungsfähigkeiten, sie nutzt unbewusste Wahrnehmung ebenso wie Folgenabschätzung und Chancenabwägung, kurz, sie ist eine Kombination aus Emotion, Vernunft und Verstand[1].
Umgang mit Komplexität zu trainieren, heißt zu einem wesentlichen Teil, Intuition zu trainieren, sie zu unterscheiden von Laune oder Vorurteil[2]. Auch die Fähigkeit, sie über die somatischen Marker wahrzunehmen[3], sie bewusst zu machen und damit reflexionsfähig, wäre ein wichtiger Trainingsinhalt. Und nicht zuletzt ist die Stärkung der Akzeptanz der eigenen Intuition eine wichtige Voraussetzung, sie in einem stark kognitiv orientieren Umfeld auch kommunizieren zu können. Mittlerweile haben viele Untersuchungen gezeigt, dass unsere unbewusste Kognition zu erstaunlichen Leistungen fähig ist[4]. In manchen Fällen ist sie unserer bewussten Problemlösungsfähigkeit haushoch überlegen und dabei auch noch sehr viel schneller.
Allerdings kann sie auch irren. Leider arbeitet unser Unbewusstes mitunter mit Annahmen, die sich in der „Realität“ nicht bestätigen. Die Chance, dass beim Roulette nach siebenmal Rot endlich Schwarz kommt, ist nicht 8:1 sondern 1:1. Zum Läutern der Intuition gehört auch, sie auf den kritischen Prüfstand von Logik und Fakten zu stellen. Ein wichtiges Thema für diese Veranstaltung müsste es also sein zu lernen, beides auf angemessene und sinnvolle Art nutzen. Die nun folgenden Schritte der Konzeption des Seminars werden sich mit beiden Bereichen befassen.
Informationssammlung
Wie ist der Stand? Sie haben mit Ihren Auftraggebern erfolgreich ein Haltungsziel vereinbart, der Inhalt („Mentale Strategien in komplexen Situationen“) ebenfalls. Was kommt jetzt? Das Seminardesign: Das Absuchen des Möglichkeitsraums, vulgo die Planung. Dazu brauchen Sie vorher Information. Wer sind die Teilnehmer? Warum kommen Sie? Was wollen sie? Was wissen sie? Was glauben sie zu wissen (über das Seminar, über Sie, über das Thema)? Was vermuten sie, warum eine solche Veranstaltung stattfindet? Diese und viele weitere Fragen können Sie natürlich nicht wirklich beantworten. Oft können Sie nur raten (oder besser: intuieren?)
Dabei ist allerdings eine gewisse Vorsicht angebracht. Beispielsweise könnten Sie sich auf genau die Informationen konzentrieren, die Ihnen am leichtesten zugänglich sind. Oder Sie wählen die aus, die Ihnen am plausibelsten erscheinen. Beides wird Ihnen ein Bild liefern, das Sie in die falsche Richtung gehen lässt. Wie können Sie sich davor schützen? Durch Neugier, Offenheit und die Bereitschaft zur Falsifikation.
Offenheit ist die Bereitschaft, Wahrnehmung ohne Bewertung zur Kenntnis zu nehmen, ist das Staunen über das, was es nicht so alles gibt. Sie ist bedingungslose Aufgeschlossenheit; bedeutet, sich der eigenen Wahrnehmung und der Welt zu überlassen, ohne sie mit einem Ideal abgleichen oder gestalten zu wollen. Man könnte sie auch passive Neugier nennen. Sie sucht nicht aktiv nach Wissen, sondern sie nimmt zur Kenntnis; neues Wissen, zunächst einfach eine Information ohne Bedeutung. Für viele Menschen ist es erst einmal schwer vorstellbar, dass Bedeutungslosigkeit keineswegs Irrelevanz heißt. Die Information ist nicht unwichtig, sie gewinnt ihre Bedeutung erst zu einem späteren Zeitpunkt, nämlich bei der Bewertung und der Planung, das heißt, bei der experimentierenden Kombination verschiedener Informationen. In ihr führt ein ungeleitetes Interesse zu einer sehr breiten Wahrnehmung. Wie bei einem entspannten Bummel durch eine unbekannte Stadt nehmen Sie Dinge wahr, die Sie nie wahrnehmen würden, wenn Sie auf der Suche nach einem Taxi oder einem Blumenladen wären. Dafür bekommen Sie ein völlig anderes, vorurteilsfreieres Bild Ihrer Umgebung, da Sie weniger (für Sie scheinbar unwichtigere) Informationen ausblenden.
Offenheit hat auch eine wichtige Funktion im Umgang mit blinden Flecken. Sie verhilft zu einem gelasseneren Umgang mit ihnen, hilft, sie zu akzeptieren, ohne den Wunsch entstehen zu lassen, fehlendes Wissen durch Phantasien, unsichere Interpretationen, unplausible Annahmen oder waghalsige Hypothesen zu ersetzen. Kurz: Sie gibt uns die Geduld, die Ungewissheit des Nicht-Wissens auszuhalten.
Die wichtigste Frage beim Sammeln von Informationen ist nämlich: Was weiß ich nicht? Zugegeben, diese Frage ist kaum zu beantworten. Was wir nicht wissen, wissen wir erst, wenn es sich zu Wissen gewandelt hat, wenn wir etwas Neues erfahren haben: „Das wusste ich ja noch gar nicht!“ Und der Königsweg zu diesem Satz ist die Neugier. Neugier ist das aktive Aufsuchen von Leerstellen des Wissens. Sie ist aber noch mehr, sie ist die beste Möglichkeit, die eigenen blinden Flecke erkennen zu können. Denken Sie an Ihr Hobby: Sie spüren schnell und sehr genau, wo Ihnen noch Wissen fehlt, wo sich Ihre Handlungsmöglichkeiten erweitern ließen.
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[1] Dazu beispielsweise Gerd Gigerenzer: Bauchentscheidungen. Die Intelligenz des Unbewussten und die Macht der Intuition. München 2008
[2] Bernd Schmid et al.: Intuition in der professionellen Begegnung. https://www.systemische-professionalitaet.de/download/schriften/22-intuition-in-der-professionellen-begegnung.pdf
[3] Dazu Antonio Damasio: Descartes‘ Irrtum. Fühlen, Denken und das menschliche Gehirn München 1994.
[4] Siehe dazu beispielsweise Ap Dijksterhuis: Das kluge Unbewusste. Denken mit Gefühl und Intuition. Stuttgart 2010