14
Feb

Starten wir mit einem Gedankenexperiment. Sie werden zu Ihrem Chef/Chefin gerufen und hören als erstes den Satz: „Sie sind doch verantwortlich für…“
Was geht jetzt in Ihnen vor? Was ist Ihre innere Haltung in diesem Moment? Hat dieser Satz etwas Bedrohliches für Sie? Löst er unwillkürlich Ängste aus?

Wenn ja, ist das kein Zufall und hat mit der Geschichte des Wortes „sich verantworten“ zu tun. Es ist ein Wort mit langer Geschichte. Ursprünglich (seit dem 12. Jahrhundert!) bedeutete es „sich rechtfertigen – und zwar als Angeklagter vor Gericht. Mit anderen Worten: Verantwortlich sein bedeutet nur allzu oft  – schuldig sein.

Auch heute noch versteckt sich diese Bedeutung in vielen Definitionen. Verantwortung ist die Pflicht, das Notwendige zu tun, die Pflicht, Schaden zu vermeiden, die Pflicht, die Folgen zu tragen. Der darin steckende Zwang wird unmittelbar als Bedrohung empfunden und löst Angst aus: „Was, wenn ich versage?“

Ja, was dann? Lassen Sie uns einen Blick werfen auf die Praxis in Unternehmen. Wie wird Verantwortung dort gelebt?

Ein Satz, den schon fast jede junge Führungskraft gehört hat: Sie müssen mehr Verantwortung delegieren!“ Geht das überhaupt? (Abgesehen davon, dass damit meist gemeint ist „Aufgaben delegieren“.) Interessant wird es ja, wenn die Sache schiefgeht. Der Mitarbeiter zeigt sich der Situation also nicht gewachsen. Der Karren steckt fest, erheblicher finanzieller Schaden und hoher Imageverlust sind die Folgen. Wer ist dann verantwortlich? Der Mitarbeiter? Die delegierende Führungskraft? Deren Führungskraft? Oder deren? Wer übernimmt letztlich die Verantwortung? Und was heißt das?

Die üblichen Maßnahmen heißen dann Degradierung und Entlassung, also: Strafe. Womit das Unternehmen natürlich auch ein wichtiges Signal an den Nachfolger sendet: „So wird es dir auch gehen, wenn du versagst!“ Macht so etwas Mut?

Zwar gibt es viele Beispiele dafür, dass Vorstandsvorsitzende wegen Fehlern ihrer Mitarbeiter ihren Hut nahmen (nehmen mussten). Heißt das aber auch, dass es einen Schuldausgleich, also Wiedergutmachung gab? Wer haftet denn letztlich?

Das Unternehmen werden Sie sagen. Das hat nun aber wiederum nichts mit Verantwortung zu tun. Diese ist immer an Personen gebunden. (Ersparen wir uns an dieser Stelle den Ausflug in die Luhmannsche Systemtheorie.) Und damit sind wir am springenden Punkt: Verantwortung braucht Entscheidungsfreiheit.

Lassen Sie uns das Thema von der anderen Seite aus betrachten: Kann man die Übernahme von Verantwortung verweigern?

Die Übernahme von Verantwortung ist an Bedingungen geknüpft.

  1. Ich muss Einfluss auf die Situation haben. Mein Handeln muss einen Unterschied machen können. Ich bin weder verantwortlich für das Wetter noch für den Ölpreis.
  2. Ich muss die Folgen meiner Handlungen abschätzen können. Was passiert genau, wenn ich an welcher Schraube drehe? Soll ich Preise erhöhen oder die Qualität? Oder das Vertriebsnetz erweitern?
  3. Ich brauche Transparenz. Welches sind die wirksamen Faktoren, welche kann ich außeracht lassen? Welche Marketingmaßnahmen haben überhaupt einen Effekt?

Und vor allem: Ich brauche Entscheidungskompetenz. Ich muss das Recht haben, eigenständig zu handeln. Wenn nur eine dieser Bedingungen nicht erfüllt ist, dann ist die Rede von Verantwortung nichts als eine leere Floskel, nichts anderes als der Versuch, Menschen unter Druck zu setzen.

Das bedeutet aber auch, dass die Übernahme von Verantwortung heute immer schwieriger wird, ja eigentlich unmöglich ist. Jedenfalls im traditionellen Verständnis. In einer immer komplexer werdenden Welt ist es oft nicht mehr möglich, die relevanten Einflussfaktoren und deren Wechselwirkung abzuschätzen. Sind die niedrigen Zinsen jetzt gut oder schlecht? Wie kann ich mir denn noch über die Folgen meiner Entscheidungen sicher sein?

Gar nicht mehr. Verantwortung zu übernehmen bedeutet Risiko. Verantwortung bedeutet nicht die Erfüllung irgendwelcher Prozessvorschriften, sondern ist der Sprung ins Ungewisse, ist Handeln unter Unsicherheit.

Was es braucht, ist Verantwortungsgefühl, den Willen es gut zu machen, immer mit dem Risiko zu scheitern. Verantwortung ist der Mut, sich Situationen zu stellen, die unsicher sind. Und genau das ist nicht delegierbar. Freiwilligkeit ist unabdingbare Voraussetzung um Verantwortung zu übernehmen oder auch um sie abzulehnen. Verantwortung ist die eigene innere Entscheidung: gehe ich das Risiko ein oder nicht?

Und darum geht es in Unternehmen: Indem Sie Mitarbeitern diese Entscheidung zu-muten, zeigen Sie auch Zu-trauen. Damit erst können Zuversicht und Motivation wachsen. Verantwortung ist eine Haltung, die aus dem Inneren kommt. Man kann sie nicht fordern, aber man kann sie fühlen. Und dieses Verantwortungsgefühl ist einfach zu wertvoll, um es als Druckmittel zu gebrauchen.

Verantwortung in Unternehmen beginnt immer mit der Selbst-Verantwortung der Einzelnen. Sie können sie nicht erzwingen, aber Sie können sie gedeihen lassen. Haben Sie nur Mut!

Copyright Peter Schweda