30
Mai

Richtig! Und doch ist beides Beziehungsarbeit und Arbeit mit Menschen, ihren Emotionen und Lebenswelten.

Ich habe vor zwei Wochen mal wieder eine hochemotionale Diskussion zu diesem Thema verfolgt – und merke, wie mich dies zunehmend irritiert.

Nein, es geht mir nicht darum, die Diskussion zu verflachen, sie ist relevant. Aber ich glaube, es wäre hilfreich der Diskussion eine neue Richtung zu geben und die Auseinandersetzung weniger dogmatisch zu gestalten.

Ich habe eine recht pragmatische Haltung zum Thema:

Coaching und Therapie sind aus meiner Sicht keine trennscharfen Konzepte. Ebenso wenig wie die Begriffe Krankheit und Gesundheit dies sind.

In der ewigen Diskussion um die Abgrenzung von Coaching und Therapie werden nämlich deren Gemeinsamkeiten gern vergessen:

  • Coaching sowie Therapie ist Beziehungsarbeit
  • In beiden Settings spielt die Persönlichkeit des Klienten, Patienten sowie des Therapeuten und Coaches eine Rolle
  • beides findet in einem geschützten Raum statt
  • die Beziehung ist wichtiger als die eingesetzten Methoden
  • Ziel ist immer Entwicklung und Veränderung hin zu einem positiveren Erleben und höherer Alltagskompetenz und Selbstwirksamkeit
  • Veränderung im Erleben und Verhalten setzt immer eine Art emotionaler „Betriebstemperatur“ voraus
  • Im Beratungsprozess dienen Emotionen als Zeichen für die aktuelle Verfassung eines Menschen

Und für alle, die sich bei dem Begriff Emotion leicht unwohl fühlen: Emotionen sind keine New Age Erfindung. Auch Geschäftsführer haben welche! Emotionen sind die erste Kommunikationsform, die uns Menschen zur Verfügung stand und dienen dazu eine Situation zu bewerten – weit schneller und direkter als unser Verstand dies könnte. Sie sind unmittelbar und immer auf beiden Seiten vorhanden.

Ich kam im Psychologie-Studium noch in den Genuss, erkenntnistheoretischer Debatten über das Verständnis von Krankheit und Gesundheit. Und ich hatte zudem als Nebenfach Psychiatrie (eine echte Kulturbegegnung).

(K)ein Witz der Psychiater: „Es gibt keine gesunden Menschen, es gibt nur schlecht untersuchte!“

Heißt das, die Gesunden sind vielleicht doch „kränker“ als gedacht? Oder anders: Psychische Eigenheiten sind normal. Auch wenn sie uns manchmal beeinträchtigen und dysfunktional sind.

Die hitzige Diskussion über die Unterscheidung Coaching oder Therapie entzündet sich meines Erachtens an der Diskussion über seelische Krankheit. Krankheit ist jedoch ein Konstrukt, eine Übereinkunft von Wissenschaftlern und ist nur im Kontext der jeweiligen gesellschaftlichen Konventionen und der Kultur vernünftig zu interpretieren. Was gestern krank war, ist heute gesund und andersherum. Z.B. Im ICD10-Katalog der WHO war Homosexualität bis 1992 als Krankheit erfasst. Heute ist dies kaum noch denkbar.

Aber sind wir mal ehrlich … wer hat nicht schon mal sehr erfolgreiche, rücksichtslose und manchmal auch charismatische Manager erlebt, die durchaus Zeichen einer psychopathischen Persönlichkeitsstruktur zeigen. Oder Controllingchefs mit einer deutlichen Tendenz zum zwanghaften Verhalten. Zum Therapeuten gehen die in der Regel aber nicht. Denn sie fühlen sich nicht krank und funktionieren gut.

Eine hilfreiche Diskussion beschäftigt sich meines Erachtens damit,

  • dass die Persönlichkeit und private Themen des Klienten auch im Coaching eine Rolle spielen
  • dass psychologisches Knowhow unerlässlich ist für Coaches, um innere Konflikten und unbewusste Ängsten zu erkennen und deren Einfluss auf die Situation zu verstehen
  • zu definieren, welche Form der psychologischen Qualifizierung Coaches brauchen, um das Arbeiten mit Emotionen einerseits mutig und verantwortungsvoll zu begleiten und zum anderen zu erkennen, wann eine Therapie angezeigt ist

Natürlich gibt es sehr relevante Unterschiede – viele werden vom Kontext geprägt: Fokus (berufliche vs. privat Lebenswelt, Vertragsgestaltung (Dreiecksverträge vs. Genehmigung Krankenkasse), Zeitrahmen (wenige, längere Sitzungen vs. viele kürzere Sitzungen) und Coaches brauchen ein anderes Kompetenzspektrum als Therapeuten (auch Organisations Know-How, Gruppendynamik etc vs. Kenntnisse von psychischen Prozessen und Störungen).

Häufig wird zur Abgrenzung betont, dass in der Therapie der Patient heilungsbedürftig, weil krank, ist. Damit wird schon ein Gefälle in der Beziehung erzeugt. Im Coaching wird der Entwicklungsaspekt, weil gesund, betont. Die Beziehung ist gleichwertig. ABER: Therapeuten sind so unterschiedlich wie Coaches. Es gibt Coaches, die sich für kompetenter halten und Therapeuten, die die Ressourcen ihrer Patienten im Fokus haben. Deswegen halte ich diesen Aspekt nicht für relevant.

Coaching ist zwar keine Psychotherapie – trennscharf sind die beiden Konzepte dennoch nicht.

Zwischen gesund und krank zu unterschieden hingegen, ist der Beziehung zum Klienten meist wenig dienlich. In der Arbeit mit Menschen offen zu bleiben, unklare Situationen zu erkennen und professionell mit dieser Unschärfe umzugehen, schon.