02
Sep

„Wir wollten ein Kapitel über den freien Willen (schreiben), haben es uns dann aber anders überlegt, und hier ist es nun[1].“

Neulich hatte ich einen Teilnehmer, der ein Problem schilderte: Es falle ihm schwer, konzentriert zuzuhören. Während sein Chef ihm etwas sage, beschäftige er sich gedanklich mit völlig anderen Dingen. Da fällt mir ein, ich wollte mich noch informieren, wie es eigentlich mit dem Zusammenhang von Assoziation und Intuition aussieht. Wäre vielleicht die Darstellung des Bewusstseinsstroms im Ulysses von James Joyce ein gutes Beispiel, oder doch das automatische Schreiben von André Breton? Hat der Name eigentlich was zu tun mit der Bretagne?

Verwirrt? Ich wäre es. Das ist doch alles völlig ungeplant! Was soll das hier eigentlich? Was ist das Ziel? Die Kernaussage? Kriegt der Kerl seine Gedanken nicht auf die Reihe? Konzentriert auf ein Ziel hinzuschreiben, strukturiert zu argumentieren, ist intellektuelle Arbeit und mühselig. Und das Gehirn ist ja ein fauler Sack (sprich hocheffizient, siehe den Blog „Lob der Faulheit“) und scheut diese Mühe.

Wir schweifen ab oder denken an gar nichts und kriegen es nicht einmal mit. Und das, wie neuere Forschungen zeigen, zu etwa der Hälfte unserer wachen Zeit[2]. Was für eine Verschwendung von Effizienz! Wie viel ungenutztes Potenzial! Statt mit diesen unnützen Tagträumereien könnte man sich ja schließlich mit etwas Sinnvollerem beschäftigen. Zum Beispiel Blogs schreiben. Oder vielleicht doch nicht?

Kommen wir zum Motto dieses Blogs. Wenn „ich“ beschließe, etwas (nicht) zu tun, gehe „ich“ davon aus, dass „ich“ eine willentliche und bewusste Entscheidung treffe. Es gibt also einen Plan: Wenn „ich“ heute das tue, dann habe „ich“ morgen dieses Ergebnis. Es braucht also ein Bewusstsein dafür, dass „ich“ morgen noch derselbe bin wie heute und dass „ich“ bewusst heute dafür sorgen muss, dass es mir morgen gutgeht. Mit anderen Worten: Ich brauche ein klares und strukturiertes Konzept von dem was „ich“ bin. Nur nebenbei: hat das eigentlich irgendjemand?

Tatsächlich ist es ganz anders. Warum eigentlich tun wir so häufig Dinge, die unserer bewussten Vernunft widersprechen? Essen Junk Food, bewegen uns zu wenig, schauen schlechte Filme? Das Ganze hat nämlich Methode. Es ist ja nicht alles schlecht was wir so treiben, wenn wir nicht rational kontrolliert handeln. Manchmal ist es ja auch richtig gut, stimmig und passend, was wir „automatisch“ tun. Vielleicht ja auch gerade deshalb? Oft ist ja viel besser, die bewusste Kontrolle auszuschalten und intuitiv zu handeln.

Und mehr noch: Es sieht wohl so aus, dass unsere Träumereien nicht nur ein Ort der mentalen Erholung sind, in dem sich unser Gehirn regenerieren kann (ähnlich wie im Schlaf). Außerdem beschäftigen wir uns in solchen mentalen Abschweifungen durchaus und sehr intensiv mit unserer Zukunft, der Qualität unserer Entscheidungen. Wir planen unser Leben auf eine sehr viel reichere und ungezwungenere Weise[3]. Es ist eine Selbstreflexion, die nicht auf kurzfristige Nutzenmaximierung angelegt ist, sondern eine Beschäftigung mit sich selbst, also dem wirklich Wesentlichen im eigenen Leben. Wann nimmt man sich dafür die Zeit und macht (sich) das schon bewusst?

Also: träumt weiter:

I’m painting the room in a colourful way
And when my mind is wandering
There I will go[4]

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[1] Terry Pratchett und andere: „Darwin und die Götter der Scheibenwelt“, München Zürich 2006

[2]Matthew Killingsworth, Daniel Gilbert: „A wandering mind is an unhappy mind“, in: Science, Band 330, 2010

[3] David Stawarczyk und Kollegen „Mind-wandering: Phenomenology and function as assed with a novel experience sampling method“, in: Acta Psychologica, Band 136, 2011

[4] The Beatles