19
Jan
Selbstgemaltes Acrylbild Ulrike Mas

Wenn ich „loslassen“ in Google eingebe, erhalte ich ungefähr 1.420.000 Ergebnisse. Also genügend Stoff, um zu wissen, wie „loslassen“ geht?

Da lese ich „Loslassen kann man lernen. Hier habe ich zehn Tipps und ein paar Übungen für Sie, wie Sie leichter Loslassen…..“ Dann lese ich nach und entdecke für mich 10 Herausforderungen.

Also doch nicht so einfach? Nein! Und es darf auch schwer sein. Denn loslassen hat immer mit einer Entscheidung für und vor allem auch gegen etwas oder jemanden zu tun. Und Entscheidung ist ein Teil der Endgültigkeit. Wer mag schon Endgültigkeit?

Loslassen braucht Übung!

Montag vor zwei Wochen haben wir unsere 15jährige Tochter Paula für ein halbes Jahr nach Amerika verabschiedet. Vor genau eineinhalb Jahren haben wir unseren Sohn Victor für ein Jahr auch in die USA „losgelassen“. Und ich merke, es ist ein bereits bekanntes Gefühl, ein bekannter Schmerz und auch eine bekannte Zuversicht, dass es eine große Chance fürs Kind und für die Familie ist. Victor hat sich in dem einen Jahr so fantastisch entwickelt, also hier haben wir „das große Los“ gezogen.

Paula hat gestern voller Begeisterung ihr erstes Skirennen gefahren! Ich weiß, wenn unser Kleinster in ein paar Jahren auch diese Erfahrung machen will, dann sind wir im Loslassen schon viel geübter.

Das heißt ja, wenn ich weiß, was durch das Loslassen ermöglicht wird, habe ich mehr Kraft dafür. Und meine Haltung zum Loslassen ändert sich. Es ist nicht mehr das Gespenst, was mir Angst macht. Sondern es ist gleichzeitig auch die Neugierde und das Licht, was durch das offene Fenster fällt. Verhalten kommt von Haltung. Ich gehe mit einer anderen Haltung an das Loslassen ran.

Nun ist es ja auch bekannt, dass unsere Gedanken langfristig unser Wesen färben. „Auf die Dauer der Zeit nimmt die Seele die Farben der Gedanken an.“ Marcus Aurelius, 121 – 180 n. Chr. So ist loslassen und das damit verbundene Gefühl von der Einstellung zu loslassen geprägt. Und meine Einstellung braucht Erlebnisse. Vielleicht hilft ja auch ein Perspektivenwechsel? Eine neue Sichtweise? Vielleicht hilft ja auch, wenn ich mir die Wunderfrage stelle: „Angenommen, Du hast losgelassen und alles ist gut gelaufen, wie geht es Dir danach? Welche Möglichkeiten hast Du? Welches Los hast Du gezogen?“ Und ich frage mich auch immer „best case“ und „worst case“. Dann kann ich mich darauf einstellen und habe ein Bild davon, was alles sein könnte. Und ganz vernünftig mache ich dann für das Loslassen die notwendigen Vorkehrungen.

Ein indianisches Sprichwort sagt: „Wenn du auf einem toten Pferd sitzt, dann steig ab.“ Klingt so logisch, so einleuchtend. Dennoch muss ich auch erst mal erkennen, dass das Pferd, welches ich reite, tot ist. Wir gewöhnen uns Schritt für Schritt und Atemzug für Atemzug an alles Mögliche. Wenn ich in der warmen Badewanne sitze und heißes Wasser nachlaufen lasse, gewöhne ich mich an das heiße Wasser. Hüpfe ich direkt in das heiße Wasser, bin ich ganz schnell auch wieder draussen. Wenn ich merke, dass ich im Hamsterrad bin und kurz vor dem Burnout stehe, bleibt mir nichts anderes übrig, als loszulassen! Ich überprüfe meine Rollen und Glaubenssätze und muss von dem einen oder anderen Glaubenssatz, von einer Aufgabe „loslassen“. Dann habe ich eine Chance, wieder gesund zu werden.

Und hier ein paar Coaching Impulse zum Thema:

–          Was verbinde ich mit Loslassen?

–          Welche Erfahrung habe ich mit Loslassen gemacht?

–          Bei all meinen Erfahrungen, wann konnte ich durch „Loslassen“ gewinnen? Was genau ist da passiert?

–          Was hat das Loslassen mit mir gemacht?

–          Welche guten Gründe habe ich, an alten Dingen und Gewohnheiten festzuhalten?

–          Woran würde ich merken, dass mir meine Los Lass-Erfahrung hilft, Neues zu erleben?

–          Was ist mein nächstes „Los-Lass-Projekt“? Wann gehe ich es an? Was ist der erste Schritt?

–          Wer in meinem Umfeld wird es merken?

–          Angenommen, ich blicke in 5 Jahren auf dieses Los-Lass-Projekt zurück, was werde ich berichten?

Und zum Schluss noch ein Auszug aus „Das tibetische Buch vom Leben und Sterben“ Sogyal Rinpoche

„Da Vergänglichkeit für uns gleichbedeutend ist mit Schmerz, klammern wir uns verzweifelt an die Dinge, obwohl sie sich ständig ändern. Wir haben Angst loszulassen, wir haben Angst, wirklich zu leben, weil  leben lernen loslassen lernenbedeutet. Es liegt eine tragische Komik in unserem Festhalten: Es ist nicht nur vergeblich, sondern es beschert uns genau den Schmerz, den wir um jeden Preis vermeiden wollten. Die Absicht hinter dem Greifen ist nicht unbedingt schlecht. Es ist an sich nichts falsch an dem Wunsch, glücklich zu sein; weil wir aber das, wonach wir greifen, von Natur aus ungreifbar ist, schaffen wir uns immer nur Frustration und Leiden.

Das Loch in der Straße

Ich gehe eine Straße entlang.

Da ist ein tiefes Loch.

Ich falle hinein.

Ich bin verloren.

Ich bin ohne Hoffnung.

Es ist nicht meine Schuld.

Es dauert endlos, wieder herauszukommen.

Ich gehe dieselbe Straße entlang.

Da ist ein tiefes Loch.

Ich falle wieder hinein.

Ich kann nicht glauben, schon wieder am gleichen Ort zu sein.

Aber es ist nicht meine Schuld.

Immer noch dauert es sehr lange, herauszukommen.

Ich gehe dieselbe Straße entlang.

Da ist ein tiefes Loch.

Ich falle wieder hinein…

aus Gewohnheit.

Meine Augen sind offen.

Ich weiß, wo ich bin.

Es ist meine Schuld.

Ich komme auch sofort wieder heraus.

Ich gehe dieselbe Straße entlang.

Da ist ein tiefes Loch.

Ich gehe darum herum.

Ich gehe eine andere Straße.“